1972 „Sprint Special“

Typischerweise werden in den USA die neuen Automodelle im September oder Oktober des vorangehenden Kalenderjahres vorgestellt – das heisst: ab Oktober 1971 kann bereits ein 1972er Modell erworben werden. Diese Massnahme garantiert den Herstellern traditionell gute Verkaufszahlen bis Ende November, wenn in den meisten Verkaufsregionen ebenso traditionell die Winterflaute einsetzt. Steht dann nach mageren Verkaufsmonaten endlich der Frühling vor der Tür, muss etwas unternommen werden, um die Leute wieder in die Showrooms zu locken.
Die Strategie mit einer Frühjahrs-Sonderaktion verfolgte Ford erstmals 1963, als der Falcon V8 im April eingeführt wurde. Im darauffolgenden Jahr sollte der Verkaufsstart des Mustangs ab dem 17. April den Showrooms Kundenfrequenz bringen. Die Idee hatte durchschlagenden Erfolg, wie wir alle wissen. In späteren Jahren waren die Aktivitäten etwas weniger spektakulär. Man begnügte sich mit einer „Frühjahrsausführung“ von bestehenden Modellen. Eine davon war der Mustang „Sprint Special“

Um die dümpelnden Verkäufe im Frühling 1972 anziehen zu lassen, ersannen sich die Ford-Werber ein Sondermodell, das sehr patriotisch daher kam. Sie verpassten dem Mustang zusammen mit dem Pinto und dem Maverick eine spezielle Lackierung und priesen die Autos unter dem Slogan „put a little sprint in your life“ an.
Die Grundfarbe Weiss wurde kontrastiert von einem kräftigen Blau im unteren Bereich der Karosserie. Das Blau fand sich auch auf dem Heckblech und zwei breiten Streifen über die Motorhaube. Die Übergänge von blau zu weiss waren abgesetzt mit einer roten Zierlinie. Seitlich am Heck prangte ein grosser Aufkleber mit der US-Flagge. Beim Mustang wurde der Standard- Kühlergrill durch denjenigen vom Mach 1 mit den Zusatzlampen ersetzt. Ebenso die vordere Stossstange, die mit einer weiss lackierten Polyurethan-Beschichtung daherkam anstelle des Chroms. Komplettiert wurde das Erscheinungsbild von zwei in Wagenfarbe lackierten Racing-Mirrors, die anstatt der verchromten Standard- Seitenspiegel verbaut wurden. Die 14“ Stahlfelgen erhielten Zierringe mit verchromten Radkappen.
Das Interieur wurde dazu passend ausgestaltet. Teppich und Armaturenbrett in Blau peppten die ansonsten weisse Innenausstattung auf. Die Sitze erhielten blaue Stoffeinsätze, die mit roten Kedern von den weissen Kunstlederpartien abgesetzt waren.
Solchermassen ausgestaltet wurde das „Package A“ für 156 $ Aufpreis zunächst für den Hardtop und den Sportsroof angeboten. „Package B“ (357.46 $) beinhaltete zusätzlich noch folgende Goodies: strafferes Fahrwerk mit härteren Stossdämpfern und 15“ Magnum 500 Stahlsportfelgen samt F60x15 Weissschrift-Gummis anstelle der E70x14 Reifen. Bei allen anderen Optionen und der Motorisierung konnte der Käufer frei wählen. Zwischen Februar und Juni 1972 wurden insgesamt 6247 Hardtops und 3086 Sportsroofs als Sprint-Modelle ausgestattet; bei einer Gesamtproduktion von 125093 Mustangs im 72er Modelljahr.

Zu Beginn der 80er Jahre erschien im Mustang Monthly Magazine ein Artikel über diese Modelle. Daraufhin meldete sich bei der Redaktion ein Mustanger der behauptete, er habe ein 1972er Cabriolet mit genau denselben Spezifikationen. Er habe es bereits 1974 als Gebrauchtwagen gekauft und es sei keine Nachahmung. Zunächst wollte das niemand so richtig glauben. Nähere Abklärungen ergaben allerdings, dass tatsächlich auch 50 Convertibles entstanden sind.

Alle offenen Sprint-Mustangs wurden als Spezialbestellung in den Washingtoner Verkaufsdistrikt geliefert. Dort findet alljährlich Anfangs April das traditionelle „Cherry Blossom Festival“ statt – das Kirschblütenfest. Dieser Brauch hat seinen Ursprung in einem Freundschaftsgeschenk, das der Tokioter Bürgermeister der Stadt Washington D.C. im Jahre 1912 machte.
Um den Amis die japanische Lebensart etwas näher zu bringen, schickte er ihnen mehrere hundert Kirschblütengewächse. Die Pflänzchen gedeihen im Washingtoner Klima prächtig. Die Parks sind zur Hauptblütezeit Anfangs April jeweils in zartes Weiss und Rosa gehüllt. Einen Teil der Festival-Aktivitäten stellt eine Parade dar. Dieser Umzug zieht alljährlich zehntausende Touristen an. Militärkapellen, Schulbands, berittene Polizei, kulturelle Vereine, Sportclubs und ethnische Gruppierungen nehmen an dem Umzug teil. 1972 waren auch die 50 Schönheitsköniginnen aller Bundesstaaten dabei. Zusätzlich wurde die Werbetrommel gerührt für das US-Olympia Team. Konnten sich die Ford- Dealer der Region Washington eine bessere Gelegenheit vorstellen, den Leuten den Mustang schmackhaft zu machen? Sie gelangten an Ford mit der Idee eines limitierten Sondermodells. Eine Ford-interne Notiz ebnete den Weg für die Convertibles.
Am 27. Januar 1972 wurde folgendes festgehalten: Der Washington-District hat um die Erlaubnis angefragt, 50 Mustang Convertible Sprint Modelle produzieren zu lassen. Damit sollen die geplanten Promotionsaktivitäten im Zusammenhang mit dem Washingtoner Cherry Blossom Festival und der Ehrung des US-Olympia Teams vermarktet werden. Beide Events werden in der Hauptstadt zwischen dem 2. und 8. April stattfinden. Zu den Anlässen werden zahlreiche führende Regierungsvertreter anwesend sein.
Das Sprint-Ausstattungspaket, das bisher nur für Hardtop und Sportsroof vorgesehen ist, ist übertragbar auf die Convertible- Modelle. Einzige Ausnahme bildet der Sitzbezug. Anstelle des blauen Stoffes ist ein gewobener Vinylbezug vorzusehen.
Wir glauben, dass diese Aktion für die Washingtoner Händler eine exzellente Gelegenheit darstellt, mit dem Mustang und den Sprint-Modellen eine maximale Öffentlichkeitspräsenz zu erreichen.
Die Special-Order Convertibles erhielten alle das Sprint „Package A“ und waren mit dem 302-2V Motor ausgestattet. Sie wurden rechtzeitig nach Washington geliefert.
Am 8. April 1972 fand die Parade statt. Die Freude für die leichtbekleideten Missen in den offenen Mustangs hielt sich allerdings in engen Grenzen. Anstatt der typischen Frühlingstemperaturen mit Werten bis 20 Grad herrschte eisige Kälte mit Minusgraden. Die Strassen waren vereist und leichtes Schneetreiben setzte ein. Einige Prominente sowie ein Teil der Sportler zogen sich bald zurück an die Wärme. Die Miss Arkansas harrte jedoch über die gesamte Strecke von etwa vier Kilometern auf dem geöffneten Verdeck sitzend aus. Nach dem Passieren der Prominententribüne bestand sie allerdings darauf, dass das Dach geschlossen wurde. Ihre gefrorenen Lippen dürften inzwischen bestens zu den blauen Sitzbezügen gepasst haben…. Nach den Festivitäten wurden die 50 Autos an verschiedene Händler im Bezirk ausgeliefert, die sie an die Endkunden verkauften.
Heute existiert nur noch eine begrenzte Anzahl dieser Sprint-Modelle. Ein angeschlagenes Modell zu restaurieren ist aber finanziell wenig interessant. Die erzielbaren Wiederverkaufspreise liegen nur leicht über den Standard-Modellen. Die Cabrios wären diesbezüglich viel interessanter; sind aufgrund der geringen Stückzahl aber kaum zu finden. Bei einer Restauration stellen die Sitzbezüge das grösste Problem dar. Es ist nichts mehr in weiss/blau vorhanden und wird bisher auch nicht reproduziert. Flickwerk ist angesagt. Den USA-Aufkleber gibt als Nachdruck.
Während Hardtop und Sportsroof regulär in den gesamten USA erhältlich waren, blieb das Cabrio auf die Region um Washington beschränkt. Weil die offenen Autos eine Spezialbestellung waren, erhielten sie auf dem Türaufkleber den speziellen DSO-Code 170518, der eine zweifelsfreie Identifikation möglich macht. Hardtop und Sportsroof lassen sich anhand des Interieur-Codes HB verifizieren. Und in der Schweiz? Bis dato ist kein derartiger Sprint-Mustang aufgetaucht; noch nicht mal gerüchteweise!
Autor: Iso Schwager