Mustang Grande

Ford wollte mit dem Mustang die Wünsche eines möglichst grossen Käuferkreises abdecken. Aus diesem Grund bot man relativ einfach ausgestattete Grundmodelle an, die der Käufer mittels einer ellenlangen Zubehör-/Aufpreisliste nach seinem Geschmack „personalisieren“ konnte. Es ist deshalb schwierig, einen typischen Mustang zu beschreiben. Von „Oma’s-Posti- Auto“ bis zum renntauglichen Shelby; vom mager ausgestatteten Sparmustang bis zur Direktionslimousine mit allen Extras war auf Basis des Mustangs alles möglich.
Die Konkurrenz von Ford hatte mit Camaro & Co. ähnliches im Angebot. Wie Ford hatten auch alle Mitbewerber eine speziell sportliche Version in den Preislisten. An die eher ältere, komfortorientierte Käuferschaft dachte aber offenbar niemand.

Für den 1969er Jahrgang änderte Ford seine Strategie. Anstatt viele Einzeloptionen anzubieten, die der Kunde in den Preislisten mühsam zusammensuchen musste, schnürte man neu ganze Ausstattungspakete. Während der „Mach 1“ auf die sportliche Kundschaft abziehlte, wollte man mit dem „Grandé“ die komfortorientierte Käuferschaft ansprechen.
1969 stand der Grandé erstmals in den Showrooms. Den Namen hatte man der spanischen Sprache entliehen. Ausschliesslich als Hardtop Coupé (Stufenhecklimousine) erhältlich, bot der Grandé einigen Luxus an, den der normale Hardtop nicht zu bieten hatte. Aeusserlich wurde der Wagen aufgepeppt mit Speichenradkappen, Chromleisten an den Radläufen, den Türschwellen und am Heck, Zierstreifen über die ganze Wagenlänge entlang der Fensterlinie sowie einem Grandé-Schriftzug am Dachpfosten. Die normalen verchromten Seitenspiegel wurden ersetzt durch „Racing“-Spiegel, die in Wagenfarbe lackiert waren. Obwohl nicht Standard, wurden die meisten Autos mit zusätzlichem Vinyldach ausgeliefert. Auch gab sich der Grandé luxuriös: Spezielle Sitzbezüge mit einer Mischung aus Kunstleder und Stoff passten sehr gut zu den Holz(folien)einlagen in den speziell ausgeformten Türverkleidungen mit Innenleuchten und am Armaturenbrett. Der Beifahrer hatte in seinem Armaturenbrettbereich eine grosse runde Uhr im Blickfeld. Rechts daneben informierte eine Grandé-Plakette, dass man es hier mit einem Luxus-Mustang zu tun hatte. Der Fahrer dirigierte den Wagen über ein Deluxe-3-Speichen Lenkrad. Die hinteren Seitenverkleidungen waren gepolstert, gegenüber nackten Blechverkleidungen im Standard-Mustang. Um die Pedalgummis waren Chromringe montiert. Hinter den Türverkleidungen und unter dem Teppich sorgten 28 kg zusätzliche Isolation für eine bessere Geräuschdämmung. Die Hinterachsaufhängung war mit zusätzlichen Gummielementen versehen, die die Abrollgeräusche von der Fahrgastzelle fernhielten.
Motorisch war vom 3,3 Liter 6-Zylinder bis zum 7-Liter V8 die ganze Palette erhältlich. Auch bei den Getrieben hatte man die gesamte Palette zur Verfügung. Mit weiterem Sonderzubehör wie Klimaanlage, verstellbarem Lenkrad und Tempomat stiess der Wagen schon fast in „Thunderbird“ Dimensionen vor, der als die Luxuslimo schlechthin galt. Nur Abmessungen und Preis gaben sich etwas bescheidener. Kostete ein 6-Zylinder Hardtop in Grundausstattung damals 2721 $, waren für die Grandé-Ausstattung 205 $ zusätzlich anzulegen. Mit einigen Goodies konnte der Preis allerdings locker auf 4500 $ hochgetrieben werden!
Für 1970 wurde die Standardausstattung etwas abgeändert: Neu gehörte ein „halbes“ Landau-Vinyldach zum Lieferumfang. Das „volle“ Vinyldach blieb weiterhin aufpreispflichtig. Zu den üblichen Vinyldachfarben weiss und schwarz gesellten sich je nach Wagenfarbe auch blau und grün mit Kleinkaromuster (sogenanntem „Houndsthooth“) sowie ein Lederimmitat. Die Decor-Seitenstreifen wanderten von der Fensterlinie hinunter zur Gürtellinie. Eine breite Zierblende entlang den Türschwellen ersetzte die dünne Chromleiste der 69er Modelle.
Der Teil zwischen den Rückleuchten im Heckblech wurde mit einer schwarzen Zierblende ausgefüllt. Die Speichenradkappen wichen Standard-Mustang-Raddeckeln. Im Innern fand man neu Hochlehnensitze mit integrierten Kopfstützen, im Gegensatz zu den aufgesetzten Nackenstützen vom Vorjahr. Ein neuer Bezugsstoff mit Kleinkarros wurde verwendet. Bei der Motorisierung hatte man weiterhin die volle Auswahl. Das gefällige 3-Speichen Lenkrad wurde durch eine Standard-2- Speichen Version ersetzt. Trotz allen Aenderungen blieben die Preise exakt auf dem Vorjahresniveau.

Für den 1971er Jahrgang wurde der Mustang komplett neu gestaltet. Mit verlängertem Radstand fiel er sowohl breiter als auch länger aus. Die Hardtop-Karrosserie, auf der der Grandé basierte, erhielt einen ausgefallenen hinteren Dachabschluss. Die Dachpfosten wurden nach hinten verlängert und die Heckscheibe war jetzt wie in einem Tunnel platziert. Das Design ist heute auch bekannt unter dem Namen „der mit der komischen Heckscheibe”. Damals war dieses Stylingelement sehr beliebt und war auch an der Corvette oder dem Dodge Charger zu finden. Obwohl die Sicht nach hinten dadurch enorm behindert wurde, ergab dies einen fürstlichen Panoramablick – verglichen mit einem Sportsroof oder Mach1 dieser Jahre. Dort bildete die Heckscheibe eine Art vergrössertes Dachfenster!

Die Standard-Ausstattung vom vollen Vinyldach mit Grandé-Schriftzug bis zum Interieur blieb von 1971 bis 1973 nahezu unverändert. Die Vinyldachfarben waren wieder weiss, schwarz, blau, grün oder braun, je nach Aussen- und Innenfarbe des Mustangs. Auch die Radlaufzierleisten, die Schwellenblenden, die Heckblende, die Sportseitenspiegel (links von innen verstellbar) und der seitliche Decorstreifen blieben bestehen. Bei der Motorisierung und den Getrieben hatte man wie in den Jahren zuvor, weiterhin volle Wahlfreiheit. Im Interieur waren die Armaturen schwarz eingefasst; „Holz“ gabs nur noch im Mittelteil, der neu auch den Grandé- Schriftzug beherbergte. Die Sitze mit ihren Stoffeinsätzen waren weiterhin nur im luxuriösen Grandé erhältlich und die Türen waren mit den aufwändig konturierten Verkleidungen ausgestattet. 1971 konnten erstmals elektrische Fensterheber bestellt werden, die aber nur in knapp 10 % aller Grandés eingebaut wurden. Gesamthaft erhielten nur 2.6 % aller 71er Mustangs elektrische Fenster. Der Rest musste sich mit den „Fitnessfenstern“ begnügen. Zum Vergleich: 1971 wurden 38 % aller Mustangs mit Klimaanlage ausgeliefert! Ohne spezielle Bestellung waren Standard-Mustangraddeckel auf den Felgen montiert. Alle anderen Zierblenden und Felgen waren gegen Aufpreis erhältlich.

1972 änderte sich praktisch nichts. Ein spezieller Grandé-Raddeckel wurde Serien-Standard und der seitliche Karrosserie-Decorstreifen wanderte wieder hinauf an die Fensterlinie. Dort erstreckte er sich von der vorderen bis zur hinteren Kotflügelecke in den Farben gold/grün, gold/weiss und schwarz/orange, passend zur jeweiligen Aussenfarbe. Aufgrund der neuen Abgasgesetze wurde der 429er V8 (7 Liter Motor) aus dem Programm gestrichen. Diese Motorisierung war beim Grandé sowieso extrem selten bestellt worden: Ganze 86 Stk. der 83108 gebauten 71er Hardtops waren mit diesem Motor ausgestattet! Wieviele davon Grandés waren, ist nicht bekannt.
Die US-Regierung erliess für 1973 verschärfte Sicherheitsbestimmungen. Zusätzlich zum Seitenaufprallschutz, der seit 1971 in die Türen eingebaut wurde, mussten die Stossstangen einen Rempler bis 5 mph (ca. 8 km/h) aushalten, ohne stark beschädigt zu werden. Ford löste dieses Problem mit Stossstangen, die etwas weiter von der Karrosserie abgesetzt waren und verstärkte die Aufnahmepunkte. Dazu wurden die Aufnahmen wie eine Art Stossdämpfer ausgebildet und in Gummi gelagert. Nach einem Aufprall schnellten die Dämpfer sofort zurück und brachten die plastifizierte und in Wagenfarbe lackierte Stossstange wieder zurück in die Ausgangslage. Abgesehen von einem anderen Kühlergrill blieb sonst alles beim Alten. Aufpreispflichtige Extras wie Klimaanlage, Radio, Mittelkonsole, Servolenkung und –bremsen wurden so oft bestellt, dass viele meinten, diese Goodies gehören zur Serienausstattung. Mit dem Mustang der ersten Generation starb 1973 auch der Grandé. Ab 1974 hiess die Luxusvariante des Mustang II „Ghia“. Folgende Stückzahlen wurden in den fünf Jahren seines Bestehens gebaut:
Jahr
1969
1970
1971
1972
1973
Stückzahl
22186
13583
17406
18045
25274
Und die Moral von der Geschichte: Auch wenn im Volksmund so genannt – noch lange nicht jeder Hardtop Coupé Mustang ist ein Grandé. Und der „Mach 1 mit dem komischen Dach“ ist eigentlich ein Hardtop.
Autor: Iso Schwager